Samstag, 1. Juli 2023

Rezension: „Fräulein Gold - Schatten und Licht“ von Anne Stern

Fräulein Gold - Schatten und Licht von Anne Stern
Quelle: Rowohlt
Bei „Fräulein Gold - Schatten und Licht“ handelt es sich um den Auftaktband einer Reihe rund um die Hebamme Hulda Gold im Berlin der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, die Kriminalfälle aufklärt. Erschienen ist der Roman im August 2021 bei Rowohlt Polaris. 

1922: Hulda ist als Hebamme tätig und betreut die Frauen im Bülowbogen, einem Viertel, in dem sehr viele arme Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Stets besorgt um das Schicksal der Menschen, stößt sie auf den Todesfall von Rita Schönbrunn. Eine schwangere Nachbarin nimmt ihr Tod sehr mit und so fängt Hulda an, eigene Nachforschungen anzustellen. An sich scheint der Fall eindeutig. Rita Schönbrunn hatte ein hartes Schicksal und ist in den Landwehrkanal gesprungen und ertrunken. Doch irgendwas stimmt an dieser Geschichte nicht und auch Kriminalkommissar Karl North kann diesen Fall nicht so schnell zu den Akten legen. Bei den Ermittlungen tauchen sie immer tiefer in die Abgründe der Stadt ein und lernen, dass Schatten und Licht oft nah beieinander liegen. 

Hier wollte der Zufall mal wieder unbedingt, dass ich diese Reihe beginne. Ich hatte schon viel Gutes zur Reihe gehört und als ich den ersten Teil bei den Mängelexemplaren gesehen habe, habe ich es mitgenommen. Bei Krimis bin ich immer noch recht vorsichtig, aber ich scheine mittlerweile echt den Zugang zum Genre gefunden zu haben. 
Ich bin sehr gut in die Geschichte reingekommen. Es beginnt mit dem Mord, der direkt einige Rätsel aufgibt und neugierig auf mehr macht. Das Berlin der 20er Jahre konnte ich mir sehr gut vorstellen. Das ein oder andere Detail musste ich allerdings auch googeln, weil es fast etwas unwirklich klang. Bei einer Geschichte, die vor 100 Jahren spielt, kann man Ortschaften allerdings auch googeln, was mir sehr gefallen hat. 
Zu keinem Zeitpunkt des Lesens wurde mir langweilig. Dies lag vor allem auch an der Themenvielfalt. Ich habe viel über die Arbeit als Hebamme in dieser Zeit erfahren, natürlich den Standort Berlin und das Leben zu jener Zeit - es gab einige Details zur Mode und der politischen Lage. Letzteres fand ich sehr geschickt eingewoben. Es war immer von „dieser neuen Partei“ die Rede oder es werden mal Preise eingestreut, weil man sich 1922 kurz vor der Zeit der Hyperinflation befindet. Die Beschreibungen des Armenviertels und des Lebens dort, fand ich auch sehr gelungen. Dies hat mich sehr an das Gängeviertel in Hamburg erinnert. 
Für einen echten Krimi war der Mordfall wahrscheinlich fast schon zu sehr im Hintergrund, aber mir hat diese Mischung wahnsinnig gut gefallen. Es gab kleinere Zeitsprünge in die Vergangenheit über ein Notizbuch. Hierüber habe ich dann etwas zu den Zuständen und den Behandlungsmethoden in der Psychatrie während des ersten Weltkrieges erfahren, wo sich dann auch wieder ein paar Vorboten zur kommenden Zeit der Naziherrschaft gefunden haben. Einige Dinge und Meinungen waren durchaus schon vor 1933 in Deutschland vertreten, wenn auch noch nicht so deutlich. 
Ich mochte die Personen wahnsinnig gern. Ich hatte immerzu das Gefühl, dass sind echte Menschen mit echten Problemen. Sowohl Hulda als auch Karl sind sympathische Figuren, aber sie sind mal wirklich nicht perfekt. Es gibt Traumata aus der Kindheit, Hulda handelt nicht immer vernünftig, Drogen werden konsumiert ohne ganz unten in der Gesellschaft zu sein. Es wird nicht verharmlost, aber eben auch nicht stigmatisiert. Hulda hat eine sehr soziale Ader und die Menschen, um die sie sich als Hebamme kümmert, sind ihr wichtig. Karl ist unordentlich und vergisst gerne mal Regenschirme. Ich fand das so herrlich nahbar und ich bin den beiden so gerne gefolgt. 
Das Buch hat auch tolle Nebenfiguren. Allen voran der Kioskbesitzer, der immer ein Auge auf Hulda hat und sich über ihre Besuche freut. Oder auch die Vermieterin Huldas, die ein bisschen zu neugierig ist als das es ihr gut tut und die in der ein oder anderen altmodischen Sichtweise verharrt. Die dunklen Seiten Berlins lernen wir in diesem Buch auch kennen und selbst die Bösewichte haben ihre ganz eigenen Probleme, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind. 
An manchen Stellen wird ableistische Sprache verwendet oder auch abfällige Begriffe für Kinder. Das hat mir nicht ganz so gut gefallen. Hier die richtige Balance zu finden, empfinde ich meist recht schwierig und hier lerne ich noch immer dazu. In diesem Buch hatte ich zumindest nicht das Gefühl, das Begriffe wahllos eingestreut werden, weil das „damals eben so war“. Dies hat nicht das ganze Buch ausgemacht und daher ist das nur ein kleiner Kritikpunkt, der meinen insgesamt sehr guten Eindruck, kaum beeinflusst. 

Fazit: Ein Auftaktband, der mir rundum gut gefallen hat und mit seiner vielfältigen Themenmischung punkten konnte. Ich mochte das Berlin der 20er Jahre sehr gerne und bin gespannt, wie es mit Hulda Gold und Karl North weitergeht. Wer einen typischen Krimi sucht, wird hier nicht ganz auf seine Kosten kommen, denke ich, da der Mordfall ein Teil der Geschichte ist, diese aber nicht beherrscht.
 

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Titel: Fräulein Gold - Schatten und Licht
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
Autor*in: Anne Stern
Reihe: FRäulein Gold #1
Erscheinungsdatum: 17.08.2021
ISBN: 978-3-499-00428-5

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