Quelle: Rowohlt |
Berlin 1923: Huldas Beruf als Hebamme führt sie diesmal ins Scheunenviertel und zu einer jüdischen Familie. Sie hilft einer jungen Frau ihr Kind auf die Welt zu bringen. Wenige Tage nach der Geburt verschwindet es und Hulda begibt sich auf die Suche nach ihm. Doch dabei stößt sie auf Hindernisse. Die Gemeinschaft lebt nach ihren eigenen, strengen Regeln und möchte ihre Geheimnisse bewahren.
Karl North hingegen arbeitet gleichzeitig an einem Fall mit Kinderhändlern. Könnte ein Zusammenhang mit dem Verschwinden des Neugeborenen bestehen? Und wenn dies der Fall ist, wird Karl Hulda helfen? Die Lage spitzt sich immer mehr zu und dann bricht sich auch noch die aufgeheizte Stimmung gegen Jüd*innen in einem Pogrom ihre Bahn, bei dem Hulda selber in höchste Gefahr gerät.
Reihen wollen fortgesetzt werden und die „Fräulein Gold“-Reihe hat bei mir ein sehr starkes Interesse an der Weimarer Republik geweckt, so dass ich schnell weiterlesen wollte. 1923 ist das Jahr der Hyperinflation in Deutschland, von der wir sicher alle schon gehört haben und da hat mich die Umsetzung Anne Sterns sehr interessiert.
Ich war schnell wieder im Geschehen drin. Zuerst war ich ein wenig traurig, dass die Geschichte erst zum Ende der Hyperinflation einsetzt, doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das ausreichend ist. Ich habe miterlebt, wie die Hyperinflation, die unterschiedlichen Schichten betraf und die Lage sich immer weiter zuspitzte. Ich habe miterlebt, welche Entbehrungen die Menschen zu tragen hatten oder wie sich das Nachtleben in dieser Zeit gestaltete. Ein bisschen war ich auch überrascht, weil ich mir das anders vorgestellt hatte und mir im Nachhinein denke, dass das von mir ein wenig kurzsichtig gedacht war.
Der Klappentext verrät schon, dass auch Antisemitismus eine tragende Rolle in diesem Band spielt. Im Scheunenviertel kommen viele Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen und auch Jüd*innen sind unter ihnen. Auch über Huldas Familie habe ich in diesem Buch Neues erfahren, dass mich mit meinem Geschichtswissen nicht gerade positiv in ihre Zukunft schauen lässt. Ich war überrascht, wie stark schon 1923 Antisemitismus verbreitet war.
Insgesamt ist es ein Buch, dass die Gegensätze gut eingefangen hat, die in der Weimarer Republik herrschten. In der Zwischenzeit habe ich auch ein Sachbuch zu der Zeit gelesen und das bestärkt mich noch mehr in meinem Gefühl, dass die Autorin bei ihrer Recherchearbeit gute Arbeit geleistet hat. Es wirkte auch sehr authentisch auf mich, wie subtil die steigende Gefahr durch die NSDAP eingewoben worden ist.
Die Darstellung der Personen hat mir wieder sehr gefallen. Hulda lebt weiterhin ein eher unstetes Leben und kann sich nicht wirklich dazu durchringen, sich fest zu binden. Ich mag es, dass sie gerne tanzen geht und auch mal impulsive Entscheidungen trifft. Ein bisschen hat es mir auch wehgetan, dass Hulda und Karl so ihre Probleme hatten und sich so schwer tun. Andererseits war es auch erfrischend mal nicht von einer perfekten Beziehung zu lesen, wo sich beide ineinander verlieben und es dann einfach passt. Wie schon in Teil 1 sind es echte Menschen mit echten Problemen, die sich eben nicht mal so eben wegwischen lassen.
Bei ihrem Jugendfreund Felix sieht man gut, wie sicherlich einige Menschen zu Mitläufer*innen der Nazis werden konnten. Ich bin gespannt, wie sich das noch entwickeln wird. Ich mag Felix, auch wenn er sich etwas zu sehr unterbuttern lässt und zu wenig an sich selbst glaubt. Ihn und Hulda verbindet eine tolle Freundschaft und unterschwellig vielleicht sogar ein bisschen mehr.
Fräulein Wunderlich hat mich auch dieses mal wieder zum Schmunzeln gebracht. Sie ist ein wenig zu neugierig und manchmal auch übergriffig und dennoch habe ich ihr das durchgehen lassen, weil ich das Gefühl habe, sie hat dennoch das Herz am rechten Fleck. Der Zeitungsverkäufer Bert hat auch dies mal wieder ein Auge auf Hulda und steht ihr mit väterlichem Rat zur Seite. Ich mag die Szenen der beiden immer sehr gerne.
Auch diesmal empfinde ich das Buch gar nicht so sehr als Krimi, sondern mehr als einen historischen Roman, bei dem die Gesamtmischung für mich stimmt. Es gibt hier das verschwundene Neugeborene. Ich fand es toll, wie sehr Hulda sich dafür einsetzt, das Baby wiederzufinden. Manchmal meinte es das Glück allerdings auch etwas zu gut mit ihr. Karl mit seinem Fall kam mir deutlich zu kurz und die Auflösung war mir etwas zu schnell. Da habe ich mich doch dabei erwischt, dass ich mir gewünscht habe, dass beide Fälle enger miteinander verbunden sind.
Die Ausführungen der Autorin im Nachwort fand ich wieder sehr spannend. Ich bin ein großer Fan von einem guten Nachwort. Darüber hinaus merke ich in letzter Zeit immer mehr, dass ich derzeit Geschichten bevorzuge, die sich eher in einem kleineren Zeitrahmen bewegen und keine großen Zeitsprünge haben. In dieser Hinsicht ist die Fräulein Gold Reihe natürlich perfekt.
Fazit: Ein gelungener zweiter Band, der das Jahr 1923 mit seinen Eigenheiten wunderbar eingefangen hat. Für mich stimmt hier die Gesamtmischung und es gibt nur Kleinigkeiten, die mir nicht so gefallen haben. Ich freue mich darauf, demnächst die weiteren Bände dieser Reihe zu entdecken und bin als nächstes auf die Roaring Twenties gespannt.
Rezensionen zu vorangegangenen Teilen:
[#WERBUNG]
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
Autor*in: Anne Stern
Reihe: Fräulein Gold #2
Erscheinungsdatum: 13.10.2020
ISBN: 978-3-499-00429-2
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